Lyrik

Zwanzigsechzehn

 

Bist du braun, bist du gelb, bist du schwarz, bist du weiß?

Bist du Flüchtling, bist du Mensch, bist du Ding, bist du Mönch?

Warum hast du ein Smartphone, woher hast du das Geld?

Warum darfst du hier wohnen, bedrohst meine Welt?

Die da oben, die Elite, singt dem Abendland ein Gutenachtlied

Wir sind im Morgenland erwacht, dieser arabische Volksdieb

 

Es ist an der Zeit

Es ist an der Zeit

 

Es ist an der Zeit, dass wir erinnern, erinnern und verstehen

Da ist ein Geist, der sich erinnert, erinnert und versteht

Ein Zeitgeist, der sich belügt, verroht und rückwärts geht

Sag mir eins, sag mir zwei, sind wir seins, sind wir frei?

 

Bin ich bi, bin ich a, bin ich poly, bin ich pan?

Bist du schwul, bist du homo, bin ich lesbisch oder hetero?

Ist das politisch korrekt, aber nicht ganz queer?

Darf ich jetzt ein Mensch sein, oder bin ich ein Tier?

Ist die Wertegemeinschaft ein lebendes Fossil?

Von Populisten versteinert, völlig grenzdebil?

 

Es ist an der Zeit

Es ist an der Zeit

 

Es ist an der Zeit, dass wir erinnern, erinnern und verstehen

Da ist ein Geist, der sich erinnert, erinnert und versteht

Ein Zeitgeist, der sich belügt, verroht und rückwärts geht

Sag mir eins, sag mir zwei, sind wir seins, sind wir frei?

 

Ein Zeitgeist, der sich belügt, verroht und rückwärts geht 

Sag mir eins, sag mir zwei, sind wir seins, sind wir frei?

Sag mir eins und zwei und drei und vier

 

Fragen über Fragen, wo sind die richtigen Antworten?

Fragen über Fragen, nur Verantwortung.

 

Fluch(t) der GEdanken

 

Will den Bildschirm gegen ‘nen Rettungsschirm tauschen

Die nächste Mücke zum Elefanten aufbauschen

Meine Gedanken lernen laufen

Wollen sich im Herbstlaub vergnügen

Meine Gedanken üben den Leerlauf

Wollen den Bachelor betrügen

 

Für dich und die Musik

Für dich und die Musik

 

Du und ich rennen mit der Vernunft um die Wette

Sie versucht an uns vorbei zu fliegen

Doch du stellst ihr ein Bein, für Fairplay zu verliebt

lassen wir sie links liegen

 

Ich hoffe sie kann uns verzeihn‘

Ich hoffe sie kann uns verzeihn‘

 

Das ist der Fluch der Gedanken, die Flucht der Gedanken,

sie tragen uns über all die schwankenden Planken,

auf denen wir tanzen und stolpern, und gehen und stehen,

und lieben und hassen, und uns weiter drehen, 

 

bis wir irgendwann unser Leben lassen

bis wir irgendwann unser Leben lassen

 

Bevor die Vernunft uns den Krieg erklärt und uns besiegt

 


Prosa

Tagebuch - "Fish" On Tour || Oktober 2015

#1: Los Geht's

Liebe 150 Freunde, Geheimdienste und Netzpiraten!

 

Es ist so weit: Wir sind auf Tour. 

Mittlerweile ist unser Leben im Renault Traffic verstaut und wir befinden uns bei Köln im Stau. Alles normal also. 

Bin grade nicht so in Reimlaune. Werden gleich mal Seeed einlegen. Wir überlegen grade das Wort "Reißverschlussverkehr" als Unwort des Jahres vorzuschlagen, der Jan rechts neben mir kennt zumindest den Menschen, der das Jugendwort des Jahres bestimmt. Wer wissen will, welches es geworden ist, fragt aber besser bei Hans Entertainment nach. 

Entertainment gibt’s von uns jetzt übrigens auch täglich und qualitativ hochwertig. Masse mit Klasse eben. 

Die 150 Facebook-Freunde oben in der Anrede zu verwenden, ist unfreundlich, hochnäsig und Memo an uns selbst zugleich. Müssen jetzt gucken, wie vielen Menschen wir im Norden gefallen können. Gut, dass Balkonpflanzen nicht auf Gefällt mir drücken können, die werden jetzt erstmal nicht mehr gegossen. Sollen die sich halt mal selber versorgen. Linus ruft grade Snackpause und klatscht uns Waffeln ins Gesicht. Zeit tschö zu sagen. Heute Abend Gütersloh. Morgen wieder Blog.

Tschö!

 


#2: Gütersloh

Ein Roman wie bittersüße Schokolade.


Unterwegs die zweite! Unter anderem mit "Geil, da gibts nen Bäcker-Point" und "Es ist rot" (unser Fahrer ist Farbenblind). Ja Gütersloh war schön. Danke an das Blue Fox, Dietmar seine Gang und Volker. Danke an den Koch und für Salma Hayeks Schlangentanz. Für wen das noch nicht nach Spaß klingt: Freibier, Freilütten und Steeldart. So macht das Touren Spaß! Das Bild übrigens ist unsere erste Collage, Frühstückstische sind eindeutig die besseren Kunsthochschulen. Naja Regionalzeitungen sind auch einfaches Material. Übrigens den Hochdruckreiniger haben wir gestern im Maisfeld vergessen. Dachten uns wir nutzen den goldenen Oktober und drehen ein Musikvideo. Nachher war dann ein Hochdruckreiniger nötig. Passte nachher aber nicht mehr ins Auto...Die Polizei kann den sicher für die nächste Pegida-Demo gebrauchen! 

Warendorf noch 21 km entfernt, wir müssen vorsichtiger fahren. Die fahren wie die Gallier. Gerade hat jemand mitten auf der Kreuzung ein Fahrrad aus dem Kofferraum verloren, steigt seelenruhig aus, holt das Fahrrad und überlegt sich seelenruhig wie das mit dem Tetris nochmal ging. Wir schätzen auf Level 7 und kauen aufgeregt auf den Nägeln. Zurück zu Gütersloh: unser Badezimmer-Poster kam bei der Dame hinterm Tresen ziemlich gut an. Jaja, Sex sells...Insgeheim hoffen wir heute abend nicht auf unsere gestählten Stahlarbeiterkörper reduziert zu werden. Eigentlich machen wir doch Musik. Ein Roman wie bittersüße Schokolade...

Zum Abschied gibts noch ein Hashtag mit Denglisch: ‪#‎staytuned‬ Morgen Day Off in Gütersloh. FIFA 16, Sunset Session und Chili con Carne von gestern. 

Yeah, Baby!

 


#3: Warendorf

"Die Geräuschgewalt hat [uns] ins Ohr gebissen" (Annenmaykantereit). Es braucht keine großen Philosophen, um einen Abend in Warendorf zu beschreiben. Wir haben Musik gemacht und der Landwirtschaft geholfen. Muss reichen!



#4: Schon wieder Gütersloh

Liebes Tagebuch,

ich erzähl dir jetzt was, was niemand jemals lesen darf: Gütersloh war wunderschön! Ja genau das Gütersloh, das sonst nur für Doppelmorde oder Promi-Banketts von Liz Mohn bekannt ist (Zusammenhang nicht ganz auszuschließen). Einen Stierkampf 4 gegen 4 um 1 Uhr nachts gewaltlos zu gewinnen, das geht nur hier. FIFA 16 mit Auflösung eines FIFA 06 zu spielen, das geht nur hier. Tischtennis-Rundlauf-Turnier mit der ganzen Familie inklusive faulem Hund bei südfranzösischem Wetter und saftigem Apfelbaumsnack, das geht jetzt aber wirklich nur hier. 

Kein Wunder, dass gerade betretene Stille im Tourbus herrscht, verlassen wir doch gerade unsere Komfortzone Richtung Hannover. Kein ausgiebiges Frühstück mehr mit Eiern aus dem eigenen Stall, Tee, Kaffee und Bratwurst von gestern. Keine nervenaufreibende Pixel-Schlachten und kein Chili con Carne nachts um 2 Uhr nebst grad verdienten Petro-Dollars aus Warendorf. Jetzt aber genug der Vergangenheit nachgetrauert. Aktuell hängt unser Drummer Linus hinten am Auto und denkt eine Weile er wäre Jason Statham, dabei befindet er sich nur in einer Nebenrolle in Stirb Langsam. Ging aber dann doch ganz schnell. Gut, dass wir zwei Drummer haben. Während gerade die Stautante die Frechheit besitzt Mr. John Butler höchstpersönlich bei seinem Heldenstück Ocean zu unterbrechen, rückt Hannover immer näher. Wir sind froh nicht wegen Fußball hinzumüssen. Graue Mäuse sind weniger attraktiv als Wohnzimmerkonzerte. Wir gucken gleich mal bei Wikipedia welche sakralen Gebäude man sich unbedingt angucken muss. Wird wahrscheinlich auf eine Dortmund-Fankneipe hinauslaufen...

Bis morgen, Tagebuch. Ich hab dich lieb!



#5: Hannover

Hannover du geile Sau!

Das war ein Mordsspaß in einer wahnsinnig freshen WG im ultrahippen Stadtteil Linden-Nord. Hier ist die Welt noch in Ordnung!

Da hängen Petitionen gegen eine Diskriminierung von Wasserkochern in der Küche und da steht ein riesiger Kühlschrank im Flur. Dazu antikapitalistische Poster an der Wand und Humor a la Duschlampe an der Klotür. Mensch diese Jams bis 4 Uhr morgens waren absolute Weltklasse! Schade, dass die Polizei unserer Einladung nicht gefolgt war. Die hätten sicher auch ihren Spaß gehabt. Danke Hannover, danke Christoph (wir hoffen das Aspirin hilft) und danke Johannes für die Schlafplätze. Unser Bandmobil schleppt sich grade an der Ausfahrt Achim-Ost vorbei. Gleich kommt Delmenhorst und Getränke Hoffmann. Gut, dass wir wissen, dass da ein Graben ist. Jetzt freuen wir uns auf noch so einen Abend in Oldenburg. Wieder mit Vogel-Zivis als Gastgeber. Wieder mit unserem Maskottchen, dem Austernfischer.

Das kann nur grandios werden!



#6: Oldenburg

Nun sind wir endgültig im Norden angekommen.

Hannover war auf der Fischbrötchen-Skala eine 5, Oldenburg ist da schon eine 7. Deshalb wird der Blog-Eintrag jetzt auch ganz nordisch, also kurz und schnörkellos: Mensch war das ein verflucht grandioser, unfassbar genialer Wahnsinnsabend in einer wahnsinnig netten WG im kleinbürgerlichen Idyll Oldenburgs!

Ja, das war wirklich noch die nordische Version.


Einfach nur fantastisch, wie sich da eine Altbau-Studentenbude gegen die neureiche Backsteinhaus-Wüste auflehnt. Wieso einen akkurat gestutzten Rasen, wenn man auch Trauben, Äpfel und Birnen wuchern lassen kann? Schmeckt ja auch einfach besser. Lecker war auch das gute Oettinger Export. Empfohlen von einem gelernten Biebrauer, als bestes Preis-Leistungsverhältnis. Richtig Stimmung hat auch Goja gemacht (ich hoffe der Name ist so richtig). Naja erst ein Bier umstoßen, es dann vom Boden aufzulecken wie ein Hund, das schafft eben nur ein Hund. Wenn Hunde besoffen sind, verwechseln sie übrigens "Sitz" mit "Pfötchen". Ist schon was schönes so ein Tier im Publikum. Goja war aber nicht das einzige Tier im Wohnzimmer. Hinterm Schlagzeug im Regal stand eine Giraffe, die es geschafft hat, immer perfekt im Takt mitzuwippen - man lerne: Giraffen sind musikalische Tiere. Außerdem wuselten ein paar Fische und ab und zu auch ein gefährlicher Hai an der Decke herum. Was man so alles mit einem Beamer und dem Youtube-Video "Ocean Voyager Aquarium III - 6 HOURS Relaxing HD Ocean Aquarium (close-up view!)" anstellen kann, verrückt! Für die nächsten Konzerte engangieren wir noch einen Killerhai, der das Publikum erschreckt. Wir freuen uns schon tierisch! Apropos Tiere, bevor ich es vergesse noch einen großes Dankeschön an den Simon für seinen Kontrabass und den Nachschub Bier. Für Jockel gibts einen fiesen Leberhaken, weil er uns nichts von seiner Marimba (die Miss Universe unter den Instrumenten) erzählt hat. Das ist ungefähr so als würde man einen Hund mit einem Gummiknochen spielen lassen, und ihm nachher kurz den echten schmackhaften Knochen zeigen. Ziemlich fies oder? Ich weiß: Meckern auf hohem Niveau. Spaß hatten wir ja trotzdem jede Menge!


Als letztes möchte ich euch noch eine Veranstaltung ans Herz legen, die leider schon stattgefunden hat: House Aquarium - Deep, Wet, Fett!!! mit Phish & Forellian F. Da gibts "Labshaus und Meer" und "Aal Around House Music". Eine absolutem Empfehlung nicht nur für "Angelistik Studenten"! Hoffentlich erleben wir noch die Erfindung der Zeitmaschine...

Gleich sind wir am Meer und bei Eva in Kiel! Grade ist unsere Autotür während der Fahrt aufgegangen auf der Autobahn. Ich muss aufhören. Müssen gleich mal anhalten, wird ungemütlich. Fischige Grüße!


PS: Uns gehts gut. Tür ist jetzt zu.

 


#7: Kiel

So es ist 15 Uhr und ich werde schon von der Seite angekackt, was denn mit meiner Bloggerei los wäre. Von Kiel gäbe es ja noch nichts zu lesen. Dabei wären wir ja jetzt schon in Hamburg gewesen. Tja, sobald man so einen Quatsch anfängt, wird man gleich in die Pflicht genommen. Verantwortung und so. Apropos Verantwortung: Ich sollte meinen Eltern gleich mal eine SMS schreiben, dass ich Hamburg überlebt habe, kein Enkelkind zu erwarten ist und auch kein Schulden bei den Hells Angels zu begleichen sind. Aber der Reihe nach. Ich muss ja noch Kiel nachholen. 


Also Kiel. Wir kommen bei richtigem Schietwetter in einem Industriegebiet an. Das Ortsschild sagt "Kronshagen". Hier soll Eva wohnen. Eva ist eine echte Mutti sagt Rainer und hat damit absolut recht. Ein wirklich herzensguter Mensch öffnet uns die Tür zu einer richtig schnieken Punkbude. Sechs Leute wohnen hier. Alles Plusmenschen übrigens, die sich mitten in einem alten Fabrikgebäude ihr Reich geschaffen haben inklusive Musikzimmer, in dem wir dann auch Pennen dürfen. Wir träumen schon von 1001 Nacht. Märchenhaft auch die Küche mit eigens entworfener hochbettähnlicher Konstruktion für Esstisch und Couch. Geiler Perspektivwechsel. Da wäre kein Innenarchitekt drauf gekommen. 

Naja vielleicht ist es ja die Nonkonformität, die den Nachbarn nicht in den Kram passt. Zumindest gab es zuletzt ordentlich Zoff, weswegen uns Eva kurzerhand von ihrem Wohnzimmer ins Medusa verlegt. Das Medusa ist eine Art Café, Künstlertreff und Kneipe in einem Hinterhof mitten im Kieler "Brennpunkt"-viertel Gaarden. Wer das googelt, bekommt all die Ängste des Gutbürgertums serviert, die es für eine gelungene Segregation braucht. Sozialer Brennpunkt eben. Gebrannt hat dann am Ende gar nichts. Nur die überaus interessierten Menschen, die wir da trafen. Die haben für Musik gebrannt. Für Kunst und für Toleranz. Wahnsinnig toller Ort. Für 21:15 war ein Filmabend angesetzt. Wir wurden vorher eingeschoben und hatten nur eine Stunde für unser Set mit Meister Hora zusammen. Wir hetzen da also so durch und gucken plötzlich in begeisterte Gesichter, die uns auffordern alle Songs zu spielen, die wir haben. Achja ihr seid doch eine Jamband oder? Jammt doch ruhig auch. Erzählt wo ihr herkommt und wo es noch hingeht. Wir sind perplex und glücklich. So viel Interesse und Wertschätzung haben wir noch bei keinem Konzert erlebt. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass wir hier ein Zuhause gefunden haben. Das Medusa sieht uns sowas von wieder. Der Filmabend fand dann nicht mehr wirklich statt. Wir haben dann Billard, Dart und Kicker gespielt und einen wunderbaren Haufen Menschen kennengelernt, der Jan hat sogar noch Hang-Unterricht gegeben. Auf der Kinoleinwand wurde dann zur späten Stunde noch ein pixeliges Retrospiel gezockt, bei dem man Frösche sicher über eine Autobahn bewegen musste. Geil.


Am Ende stand dann die Frage: What would Günther Netzer do? Wir waren uns einig: Im Sommer wiederkommen!

Am nächsten Morgen waren wir dann mit Eva noch in Kiel unterwegs. Sightseeing mit Fischbrötchen. Also auch Sighteating sozusagen. Hat natürlich immer noch geregnet. Highlight war das Seehundbecken am Geomar. Wir standen da ungelogene 15 Minuten vor und haben beobachtet wie sich diese speckigen Viecher mit den so süß hervorquellenden Augen in Pfützen gewälzt haben und auf ihrem Bauch durchs Gehege gerutscht sind. Ein besonders fettes Exemplar bekam die Bestnoten. Geil hoch 2. 

So Hamburg gibts dann gleich.


Euer Oleg Jewgenjewitsch Menschikow



#8: Hamburg

Das Internet wird immer schlechter. Wir nähern uns Emden. Zeit über Hamburg zu schreiben.

Hamburg beginnt ziemlich verkatert. Die Hälfte der Belegschaft im Tourbus ist übel erkältet, es regnet immer noch und zwischen Kiel und Hamburg ist der Verkehr zäh wie ein Kaugummi an der Schuhsohle. Außerdem werden wir informiert, dass unser Konzert von der Poocabar in die Barbarabar verlegt wurde. Schuld daran: Zwei Stoner Bands wurden fälschlicherweise für den gleichen Abend gebucht. Die italienische Stonerband sollte später ohne Backline und ohne Veranstalter auftauchen. Ein Management wie ein 50ct Mexikaner. Die Stimmung bei uns ist trüber als eine Nebelbank in Ostfriesland. 40 Minuten dürfen wir nur spielen im Rahmen des clubkinder Klanglabor. Pff Kinder? Wir sind doch schon erwachsen! 


Ernüchtert beziehen wir unsere Betten im Backpackers Hostel St. Pauli (heißer Tipp!) und Linus führt das typische oberflächliche Hostelgespräch. Where are you from? Ah Germany. And you? Madagaskar and Brazil. Oh exotic! 

Angekommen in der Barbarabar gucken wir erst schockiert in eine kleine dunkle Spelunke ohne wirkliche Bühne. Martin hatte uns nicht erklärt, dass die Bühne versteckt einen Raum dahinter gelegen ist. Wir erblicken gemütliches Wohnzimmerambiente und der Stimmungsnebel lichtet sich etwas. Wir freuen uns über bekannte Gesichter im Publikum: Kristina und Jasmin aus Bonn sind da! Am Ende sollen wir eine Zugabe spielen und werden leider abgewürgt. Hamburg ist irgendwie Chaos. Linus darf dann später noch das Cajon rausholen und zusammen mit David, einem netten und talentierten Singer/Songwriter eine Zugabe spielen. Clubkinder ist dann doch auch viel cooler als erwartet. Mittlerweile ist 23:00 Uhr durch und es wird Zeit für Sightseeing. Dummerweise befinden wir uns direkt an der Reeperbahn. Glücklicherweise ist es Mittwoch und nicht Samstag. Deswegen wird Rainer gleich auch angesprochen: "Ey Shorty, willst du mal meine Stimme ölen?" Wie ihr euch vorstellen könnt, war es Liebe auf den ersten Blick! Ganz pragmatisch ging es auch in anderen Geschäftsgesprächen zu: "Soll ich mal deine Eier suchen? Du hast ja noch junge Eier!" Bessere Sprüche gibts nur auf der Titelseite der BILD. Vielleicht wäre das ja der bessere Job. 


Eigentlich sind wir auch nur auf dem Weg zum Hafen gewesen. Dort angekommen ist es schon so spät, dass uns nur noch ein Typ auf LSD zu seiner Party einlädt, wir aber sonst kaum noch auf "Zivilisation" treffen. Viel zu spät fällt uns ein bei Inas Nacht vorbeizuschauen. Als Ausgleich tanzen wir eine Runde vor der Hafenskyline. So gehört sich das eben in Hamburg. Rainer hat den Twist ziemlich gut drauf. Wahnsinn.



#9-11: Norderney

Ich fange mal mit dem aktuellen Tagesgeschehen an.

Wir stecken gerade mit der Fähre fest zwischen Norderney und Festland. Auf Wattboden. Dieses schlickige zähe Zeug, dass Würmer bei ihrer Notdurft ausscheiden. Nur, dass es bei Würmern eigentlich gar keine Notdurft ist. Die machen ja einfach. Wer hat eigentlich dieses Wort erfunden? Ist es nicht auch ein Menschenrecht sich zu erleichtern? Dann wäre die Not in der Notdurft ja irgendwie ein absprechen eines Menschenrechts. Egal, die Fähre fährt wieder.


Zurück zum wesentlichen: Norderney war voll "island style". Sagt zumindest der Ottonormal-Surfer Dude. Ich stimme seufzend zu und gucke wehmütig. An folgende Dinge werde ich mich erinnern und eines Tages ein Kinderbuch drüber schreiben. Der Verleger wird auf Altersbeschränkung ab 18 Jahre pochen und mich darauf hinweisen, dass meine Zielgruppe schrumpft, aber auf einer Insel läuft alles anders. Dort wo Katzen auf dem Fußweg schlafen. Dort wo verrückte Ostfriesen in Vierergruppen einem Ball kilometerweit auf einer Straße hinterherlaufen. Dank Michael vom Goodewind Norderney wissen wir was Boßel spielen ist. Verdammt der Michael ist ein sauguter Typ. Mit Cocktails hat der gute Mann Meisterschaften gewonnen und kreiert kurzerhand einen "Dining Fish". Wir sind auf dem Höhepunkt unseres Schaffens angekommen. Dann lädt er uns noch zum Essen ein in den Old Smuggler, das Restaurant seines Vaters, ein Seemann wie er im Buche steht. Hier darf Linus mit einer Dame höheren Semesters über Yoga-Stellungen philosophieren. Nur mit Mühe kommen wir wieder los. Das Konzert macht dann auch Riesenspaß. Der "Dining Fish" tut sein übriges. Nach ein paar Pinnchen Meeresleuchten sind wir endgültig auf dieser Insel angekommen. Zurück zur Jugendherberge gehts unter klarem Sternenhimmel durch die Dünen. Der Leuchtturm weist den Weg. Apropos Leuchtturm: Während der gemeine Tourist schläft, besäuft sich der Zivildienstleistende (dazu zählen irgendwie auch wir) nachts am Leuchtturm und guckt am Fuß hoch in den Himmel, wo sich die Lichtstrahlen wie ein Zelt in alle Richtungen bis zum Horizont ausbreiten. Experten achten dann darauf den Turm statt des Lichts als in Bewegung zu sehen und kämpfen dann gegen den Schwindel. Magischer Ort. 


Magisch wird auch der Samstagabend: Ehemalige Vogelzivis laden zum Ehemaligen Treff ein und feiern das mit Fish Vibes und dem Russenduo Misha Kapa. Sänger Vlad schlägt mit einer großen Spriteflasche auf einen Schellenkranz. Deutsch und Englisch spricht er mit bestem russischen Akzent, bedient natürlich jedes Russenklischee und trägt statt T-Shirt lieber Körperbemalung. Dazu gibts Akkordeon mit Matrosenmütze und Pornobrille. Ich brauch nicht weiter auszuführen, dass das in purer Eskalation endete. Calling Mr. Vain und andere Hits auf russischer Tanzmusik ist nach ein paar Bier einfach pure Party. Dann kam der Gastauftritt von MC Pushkin. Der kleine sehr brav wirkende Bruder von Vlad spittet ziemlich derbe Lyrics ins Mic und legt einen unglaublichen Flow hin. Eine Legende war geboren.


Noch zu erwähnen: Vlad prügelte für die Percussion mit der Spriteflasche wie ein Irrer auf einen Tisch (provisorische Bühne, nur gestützt von Telefonbüchern) und schaffte es unglaublicherweise, ihn ganz zu lassen.

Ein Mikro von uns hat Vlad dann aber doch zerlegt. Er war einfach zu laut.

Tja, mittlerweile sitzen wir im Tourbus auf dem Weg nach Bonn und lauschen den Känguru-Chroniken. Es beleidigt uns grade als arbeitslose kommunistische Kleinkünstler mit abgebrochenem Philosophie-Studium.

Vielleicht ist da was dran. Vielleicht aber auch nicht. Was wir wissen: Wir haben einiges gelernt, tolle Menschen kennengelernt und alle CDs verkauft. Zwischen meinen Füßen klirren ein paar Flaschen Meeresleuchten. Es ist dieses belanglose Geräusch, das mir sagt, das wir uns wiedersehen werden: Tour, du verlockendes, immunsystemschwächendes Manifest der Freiheit.


Fishige Grüße, 

Oleg